Mit „Karizma“ gelang Sara Gmuer ein viel besprochenes Erstlingswerk, nun erscheint im Frühjahr 2025 ihr neuer Roman bei hanserblau.
»KARIZMA – das ist eine undogmatisch erzählte Liebesgeschichte, das ist große, begeisterungswürdige Literatur!«
WDR 5
»Ein Rap-Roman mit Punk-Attitüde.«
taz
von Sara Gmuer // ©orange-press
KARIZMA ist Lovestory,
Hiphop-Video und Großstadt-Roadmovie in einem.
Erhältlich als Paperback & eBook.
Meine Kindheit verbrachte ich in der italienischen Schweiz auf dem Monte Bré in einem Dorf mit vierhundert Einwohnern, das seit vielen Jahren langsam ausstirbt. Mein Zuhause wurde auf Postkarten gedruckt, wie eine Sehenswürdigkeit. ↓
Ich wuchs in einem Hotel ohne Fernseher auf. Achthundert Meter über dem Meer. →
Das erste Haus nach der letzten Kurve, hinter ihm das ganze Dorf aus alten Steinhäusern, die am Berg kleben. Meine Eltern hatten das Haus zwei Jahre zuvor gekauft und waren seitdem damit beschäftigt Rechnungen und Angestellte zu bezahlen.
Es war ein Haus voller Geschichten. Mein ganz eigenes Grand Budapest Hotel. Ohne Concierge und ohne Silberbesteck, dafür mit sagenumwobenen Truhen, Stühlen und Spiegeln des letzten österreichischen Kaisers, dem Großneffen von Sissi, die durch Exil, Wendungen und Versteigerung vor bald hundert Jahren in unseren Familienbesitz kamen.
Willy Brandt ließ sich auf der Terrasse fotografieren, doch das war vor meiner Zeit, und ich weiß es nur, weil das Bild bis zuletzt wie ein Familienfoto an der Wand hing. Im Winter fiel das Hotel in einen Winterschlaf und die Gastarbeiter aus Portugal gingen zurück zu ihren Familien. Im Frühling kamen sie wieder, beladen mit Geschenken für uns Kinder und der Trubel ging wieder von vorne los. →
Ich hatte Freunde von überall her. Manchmal blieben sie zwei Wochen, manchmal nur eine Nacht. Einige kamen jedes Jahr wie Weihnachten und Ostern und an Fronleichnam zog das ganze Dorf singend und betend mit Kreuzen und Weihrauch durch die schmalen Steingassen.
Anfang der Neunziger trennten sich meine Eltern und meine Mutter zog mit meinem Bruder und mir in die Stadt. Wenig später dann die Scheidung und der große Umzug nach Luzern. Ich stand mit meinen Freundinnen weinend auf dem Parkplatz. Die Koffer waren gepackt. Wir schworen uns ewige Freundschaft und sahen uns nie wieder. Das Leben spielte sich nun auf Deutsch ab. Ich hasste alles daran. Die Sprache. Die Schule. Die Nachbarn. Die Pubertät stürzte auf mich ein. Wir besetzten Häuser und schrien „macht kaputt, was euch kaputt macht“ und machten uns selbst kaputt.
Wir holten Drogen aus Amsterdam und schliefen an Frankreichs Atlantikküste auf Sanddünen. Wir lernten in den Pariser Banlieues die falschen Jungs kennen und irrten nachts durch Orte, wo nicht mal Taxis halten. Aus Punk wurde Rap. ↓
Ich schrieb kryptische Reime in meine Schulbücher. Ich dachte nur noch in Punchlines. Wenn ich rappte, war ich Rocky. Mit Fünfzehn wurde ich von der Modelagentur, die auch schon Cindy Crawford entdeckte, nach Mailand eingeladen. →
Ich kam aber nur bis zur Landesgrenze, weil ich meinen Reisepass zu Hause vergessen hatte. Zwei Jahre später packte ich erneut meine Taschen und diesmal kam ich nicht zurück. Erste eigene Wohnung, Schauspielschule und den Reisepass fest in meinen Händen.
Ich spielte in Filmen und Fernsehproduktionen mit und mein Konto war zum ersten Mal nicht mehr im Minus. Die Drehs hielten mir den Rücken frei. Ich rappte über Gucci Taschen und konnte sie mir endlich auch leisten. ↓
Rap war mein Trainingscamp, mein tägliches Workout im Umgang mit Sprache, bis irgendwann 16 Bars nicht mehr ausreichten, um alles zu sagen. 2012 lag mein erstes Buch in den Läden. →
Die taz nannte es: „Ein Rap Roman mit Punk Attitüde“ und ich signierte es mit Rocky. Das Hotel wurde verkauft. Die Käufer höhlten das Hotel wie einen Kürbis aus und der Bauschutt vergrub meine Kindheit unter sich. Ich konnte mich nicht mal mehr verabschieden.
Aus den Kaisermöbeln wurde Brennholz und der Rest wurde entsorgt. Den Ort, an den ich immer zurückgehen konnte, gibt es nicht mehr. Doch wenn ich schreibe, kann ich überall hin, alles zurückholen und für immer festhalten.
Meine Kindheit verbrachte ich in der italienischen Schweiz auf dem Monte Bré in einem Dorf mit vierhundert Einwohnern, das seit vielen Jahren langsam ausstirbt. Mein Zuhause wurde auf Postkarten gedruckt, wie eine Sehenswürdigkeit.
Ich wuchs in einem Hotel ohne Fernseher auf. Achthundert Meter über dem Meer. Das erste Haus nach der letzten Kurve, hinter ihm das ganze Dorf aus alten Steinhäusern, die am Berg kleben. Im Winter fiel das Hotel in einen Winterschlaf und die Gastarbeiter aus Portugal gingen zurück zu ihren Familien. Im Frühling kamen sie wieder, beladen mit Geschenken für uns Kinder und der Trubel ging wieder von vorne los.
Anfang der Neunziger trennten sich meine Eltern. Ich stand mit meinen Freundinnen weinend auf dem Parkplatz. Die Koffer für den großen Umzug nach Luzern waren gepackt. Wir schworen uns ewige Freundschaft und sahen uns nie wieder.
Das Leben spielte sich nun auf Deutsch ab. Ich hasste alles daran. Die Sprache. Die Schule. Die Nachbarn. Die Pubertät stürzte auf mich ein. Ich schrieb kryptische Reime in meine Schulbücher und dachte nur noch in Punchlines. Wenn ich rappte, war ich Rocky.
Mit Fünfzehn wurde ich von der Modelagentur, die auch schon Cindy Crawford entdeckte, nach Mailand eingeladen. Ich kam aber nur bis zur Landesgrenze, weil ich meinen Reisepass zu Hause vergessen hatte. Zwei Jahre später packte ich erneut meine Taschen und diesmal kam ich nicht zurück. Erste eigene Wohnung, Schauspielschule und den Pass fest in meinen Händen.
Ich spielte in Filmen und Fernsehproduktionen mit und mein Konto war zum ersten Mal nicht mehr im Minus. Die Drehs hielten mir den Rücken frei. Ich rappte über Gucci Taschen und konnte sie mir endlich auch leisten.
Rap war mein Trainingscamp, mein tägliches Workout im Umgang mit Sprache, bis irgendwann 16 Bars nicht mehr ausreichten, um alles zu sagen. 2012 lag mein erstes Buch in den Läden und die taz nannte es: „Ein Rap Roman mit Punk Attitüde“. Ich signierte es mit Rocky.